Wenn ich heute darüber nachdenke, warum ich fotografiere und was mir das überhaupt bedeutet, würde ich spontan sagen: „Weil Bilder wichtig sind“. Jetzt könnte man vermuten, dass mir Bilder vor 2013 – also bevor ich mich wirklich ernsthaft mit dem Medium auseinandergesetzt habe – nicht ganz so wichtig waren. Sagen wir so – mir fehlte einfach das Verständnis dazu. Das Verständnis, dass manche Augenblicke im Leben einfach weg sind, wenn man nur lange genug nicht mehr daran denkt oder keine Fotos aus dieser Zeit hat, die einem dabei helfen sich wieder zu erinnern.
Ich komme noch aus einer Zeit in der wir im Urlaub mit 24er oder der Luxus-Variante – dem 36er Film fotografiert hatten. Ich erinnere mich noch, dass die Kamera meines Vaters ein bisschen so aussah wie die der Geheimagenten, die dann immer in dunklen Büros Blaupausen und andere geheime Dokumente fotografiert haben. In der heutigen Zeit – mit 32GB Speicherkarten, auf die man mal eben 6000 Fotos packen kann und die nur noch ein paar Euros kosten – nicht mehr vorstellbar. Aber wurden eben diese Filme damals noch viel mehr geschätzt und der erste Gang nach dem Urlaub war zur lokalen Drogerie um dort die Bilder zur Entwicklung zu geben. Heute lagern tausende und abertausende Fotos auf irgendwelchen Festplatten und fristen dort ihr Dasein, bis die Festplatte irgendwann mal den Geist aufgibt. Aber selbst dann ist noch nicht alles verloren, denn per software gestützter Datenrettung ist ja noch einiges zu retten. Aber die Fotos aus „meiner“ Zeit, die wir dann voller Vorfreude aus der Drogerie abholten um sie alle gemeinsam am Wohnzimmertisch anzugucken – wenn diese Fotos verloren gingen, dann waren sie verloren.
>>Zur Geschichte<<
Meine Oma ist gestorben, als ich gerade 14 Jahre alt war. Meine Mutter hat uns verlassen als ich – wenn ich das recht erinnere – 3 Jahre alt war. Ich habe praktisch keine Erinnerung an sie. Ich habe also zu diesen beiden Menschen keine lange Beziehung gehabt. Mit 14 – mitten in der Pubertät – denkt man auch nicht so weit, dass die geliebte Oma bald sterben könnte und das man die Zeit doch besser genießen sollte. Aber so kam es und selbst heute noch – 20 Jahre danach – denke ich oft an sie und wünsche mir doch noch ein paar Augenblicke mit ihr zu haben. Zu meinen Erinnerungen zählt mit Sicherheit wie sie mich in ihrer kohle-beheizten Küche immer heimlich Milchkaffee trinken lies. Sie hatte diese kleinen weißen Tassen mit blauen Punkten darauf. Aber sie starb 1995 und die Lücke die dadurch bei mir entstanden ist eröffnete sich mir erst Jahre später.
Meine Mutter habe ich seit damals nur noch ein einziges Mal gesehen und „kannte“ sie tatsächlich nur noch von Fotos die ich damals in alten Fotoalben gefunden hatte. Alles was nach meinem dritten Lebensjahr mit Ihr zu tun hat ist nur ein Geflecht aus Erinnerungen, Erzählungen und den Bildern die ich von Ihr habe.
Ein paar von euch die mich kennen, wissen, dass ich eine turbulente Jugend hatte und erst mit Mitte 20 regulierte sich mein Leben. Ich habe zu Hause viel rebelliert und bin auch früher als üblich im Streit zu Hause ausgezogen. Viele Dinge von früher sind zurückgeblieben – bis auf ein kleines Fotoalbum, in dem ein paar Bilder meines Vaters und meiner Mutter waren. Ein Bild meiner Oma fehlte gänzlich und das habe ich immer bedauert. Bis ich vor ein paar Monaten dieses Album wieder in den Händen hielt und nochmal sortieren wollte. Da fiel plötzlich ein Bild heraus, das hinter einem der anderen Bilder klebte.
Ich hatte das all die Jahre dort nicht bemerkt.Es ist ein altes Polaroid und zeigt meine Mutter und meine Großmutter – ich vermute mal irgendwann Ende der 70er , Anfang der 80er Jahre. Ich saß hier Abends am Esstisch und plötzlich hatte ich dieses Bild in der Hand und musste bitterböse weinen – ich hatte seit meinem Auszug zu Hause kein Bilder mehr von meiner Oma gesehen und als ich sie so darauf sah – auf diesem alten Foto mit Belichtungs-Flecken und Kratzern – da erinnerte ich mich wieder genau an sie. Das Gesicht, Ihr Ausdruck – das war plötzlich alles wieder so präsent. Ich weinte vor Freude aber auch aus Trauer. Das ist in der Tat das einzige Foto von meiner Oma und meiner Mutter und es könnte wertvoller für mich nicht sein. Das hier soll keine tränenreiche Geschichte werden sondern soll euch nur zeigen wie ich „ticke“ und wie ich über Fotos heute denke. Dieses Bild kann durch nichts ersetzt werden – und ob dieses Bild nun mit Polaroid, Handy oder was auch immer fotografiert wurde – wenn es weg ist, ist es weg. Wo genau meine Oma und meine Mutter dort sind kann ich nicht sagen und auch nicht wie sie sich in dem Moment gefühlt haben. Ich weiß nur, wie ich mich fühle, wenn ich dieses über 30 Jahre alte Bild in der Hand halte – dann bin ich dankbar dafür, dass jemand diesen Moment festgehalten hat.
Omi – du fehlst 🙁